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Gastbeitrag: Gesundheitstechnologie – Trends, Herausforderungen und Chancen

Bereits vor fast 20 Jahren, 2005, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Resolution Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, sogenannte „E-health”-Strategien und -Infrastruktur für eine moderne Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen, um die Vorteile eines „gleichberechtigten, kosteneffizienten und umfangreichen Zugangs” zu nutzen. Seitdem gab es viele Initiativen, doch am deutlichsten zeigt sich der Wandel in der Unterscheidung zwischen der Zeit vor und nach der COVID-19-Pandemie. Einerseits hat die COVID-19-Pandemie die Versorgungsschere zwischen Hoch- und Niedriglohnländern weiter verschärft, bedingt durch Unterbrechungen in (Arzneimittel-)Lieferketten oder fehlenden Zugang zu flächendeckenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Andererseits haben die Lockdowns die Vorteile digitaler Versorgungsalternativen und -technologien hervorgehoben und deren Adaption beschleunigt.

Ohne Zweifel birgt Gesundheitstechnologie große Chancen. Wie von der WHO im Rahmen ihres „Triple Billion Program” (2019-2023) beziffert, könnte dank Gesundheitstechnologie:

  • Mehr als eine Milliarde Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten,
  • und mehr als eine Milliarde Menschen besser vor Gesundheitsnotfällen geschützt sein,
  • sowie mehr als eine Milliarde Menschen eine verbesserte Gesundheit und gesteigertes Wohlbefinden erreichen.

Gesundheitstechnologie: Trends und Marktpotenzial

Der Begriff „Gesundheitstechnologie” umfasst eine Vielzahl von Dienstleistungen und Angeboten. Global wird der digitale Gesundheitsmarkt auf mehr als USD 250 Milliarden geschätzt (2023) mit einer jährlichen Wachstumsrate von 19 Prozent in den kommenden Jahren zwischen 2023-2030. Schlagworte in diesem Bereich umfassen das Internet der Dinge (IoT), virtuelle Pflege, Fernüberwachung, künstliche Intelligenz (KI), Big-Data-Analytik, Blockchain, smarte Wearables und Telemedizin.

Zusammenfassend lässt sich Gesundheitstechnologie als Hilfsmittel beschreiben, die den Transfer, die Speicherung, Verknüpfung und Auswertung von Gesundheitsdaten über den gesamten Versorgungszyklus – von Forschung und Zulassung über Aufklärung und Diagnose bis hin zu Behandlung und Nachsorge – ermöglichen. Dies führt zu verbesserten Therapie-Ergebnissen und einer höheren Versorgungsqualität.

Das sind die größten Herausforderungen im Gesundheitstechnologie-Sektor

Das Gesundheitssystem ist ein komplexes Netz aus miteinander agierenden Parteien, darunter Versorger (z.B. ÄrztInnen, Kliniken, Apotheken), Kostenträger (z.B. Staat, Versicherungen), Unternehmen (z.B. Medizintechnik, Pharmahersteller), ehrenamtliche Stiftungen, Patientenverbände und Privathaushalte. Auf dem Weg zur Digitalisierung dieses komplexen Systems gibt es einige Herausforderungen zu bewältigen. Die fünf größten sind:

  1. Patientensicherheit und Patientenzentriertheit: Sicherstellung, dass (digitale) Gesundheitslösungen die PatientInnen in den Mittelpunkt stellen. Ein hilfreicher Ansatz dafür sind  DMPs (Disease Management Programs), die es aktuell – unter Einbeziehung von FachärztInnen und Patientenverbänden – für einige chronische Erkrankungen wie Asthma, COPD oder Koronare Herzkrankheiten gibt.
  2. Ethik: In Deutschland ist diesbezüglich die Einbeziehung der Zentralen Ethikkommission, eingerichtet vom Vorstand der Bundesärztekammer, wichtig. Hinzu kommen die Berücksichtigung und Aktualisierung von Leitlinien, das heißt systematisch entwickelten Handlungsempfehlungen für Diagnosen bzw. Indikationen.
  3. Zugang und Skalierbarkeit: Es gibt zahlreiche Barrieren, wie eine lückenhafte Versorgungsinfrastruktur aufgrund von Fachkräftemangel sowie daraus resultierend wochenlange Wartezeiten oder erhöhte Kosten. Gleichzeitig gilt es regulatorische Maßgaben zu beachten, die einerseits Anreize für Neuerungen schaffen können, deren Berücksichtigung oftmals aber auch die Skalierung von Lösungen verzögert, z.B. durch eine beschränkte Bewerbung im Rahmen des Heilmittelwerbegesetzes.
  4. Interoperabilität: Modularität und Vereinbarkeit mit unterschiedlichen Systemen sowie Nutzerfreundlichkeit sind entscheidend. Die Systeme müssen verstanden werden, um effektiv genutzt werden zu können.
  5. Datensicherheit und -schutz: Gesundheitsdaten gehören zu den sensibelsten Daten überhaupt. Die Einhaltung von Datenschutzgesetzen wie der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist daher unerlässlich.

Healthtech als Game Changer: Diese fünf Vorteile könnten Pflege und Behandlung für immer verändern

Trotz aller Herausforderungen bieten Gesundheitstechnologien- und Innovationen die größten Hebel, die Qualität der medizinischen Versorgung in Zukunft sicherzustellen:

  1. Effizienz und Effektivität: Verbesserung der Ressourcennutzung und Behandlungsergebnisse durch Einsatz von Technologie.
  2. Patientenzentriertheit: Eine individuelle Betrachtung sowohl in Forschung als auch in der Behandlung ist notwendig, um spezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen und eine „Personalisierung” (z.B. durch Precision Medicine) über „One size fits all” hinaus zu ermöglichen. Das beinhaltet beispielsweise die Berücksichtigung eines geschlechterspezifischen Kontexts und Lebenszyklus‘, wie etwa Patientinnen, die historisch in klinischen Studien unterrepräsentiert waren („Gender data gap”).
  3. Kollaboration und Partnerschaften: Öffentlich-Private Partnerschaften, Joint Ventures und Open-Source-Initiativen fördern Innovation.
  4. Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit im Sinne der Ressourcenschonung (z.B. Verbesserung des Abfallmanagements), aber auch im Sinne der Behandlung (z.B. Förderung präventiver Maßnahmen).
  5. Zugang zu Gesundheitsinformationen: Erhöhung der Gesundheitskompetenz durch besseren Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen und Bildungsressourcen, die PatientInnen, Versorger und medizinisches Personal dabei unterstützen, bessere Entscheidungen zu treffen.

Bereits jetzt enorme Potenziale durch Healthtech im Alltag

Die Gesundheitstechnologie steht an einem Wendepunkt und bietet immense Chancen. Während die Digitalisierung die Gesundheitsversorgung revolutioniert und zugänglicher macht, müssen wir sicherstellen, dass diese Technologien sicher, ethisch und für alle zugänglich sind. Fallbeispiele wie SORMAS (Plattform zur Überwachung und Analyse von Krankheitsausbrüchen) in Nigeria zeigen, wie digitale Innovationen bereits jetzt in bestimmten Teilen der Welt eine nachhaltige Wirkung erzielen können. Durch den Einsatz von KI wird sich das Potenzial von möglichen Anwendungen in den kommenden Jahren zudem vervielfachen.

Es bleibt jedoch noch viel zu tun, um die globalen Gesundheitsziele zu erreichen und eine gerechtere und effizientere Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Gerade auch für unser Gesundheitssystem in Deutschland, das immer noch als eines der führenden weltweit gilt, brauchen wir einen Digitalisierungsschub, um die Versorgungsqualität hochzuhalten. Dabei gilt es jedoch, die nationale Brille abzulegen und – trotz unterschiedlicher Gesundheitssysteme – in europäischen Dimensionen zu denken.

Fokus auf Gemeinsamkeiten legen, nicht auf Unterschiede

Die Vision ist es, den Fokus auf Gemeinsamkeiten zu legen und nicht an etablierten Unterschieden, die als „nicht verhandelbar” gelten, festzuhalten. Nur so gelingen meiner Meinung nach Veränderungen beziehungsweise Innovation gegenüber Stagnation. Das setzt eine gewisse Proaktivität voraus, konkret: Diskussionen mitzugestalten und verschiedene Ansätze auszuprobieren.

Genau das möchten wir mit der health.tech zeigen. Dort sind die wichtigsten europäischen und internationalen Vordenkerinnen und Vordenker versammelt sowie eine Auswahl von 100 innovativen Startups im Bereich Gesundheitstechnologie und ein Abbild des gesamten Ökosystems aus Investoren, Organisationen und Unternehmen.

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