Foto: Benjamin Herchet, Hans-Martin Kudlinski, Michael Förtsch / 1E9

Festival der Zukunft: Future Island statt Museumsinsel

Mit dem Festival der Zukunft feierte die Community-Plattform 1E9 vergangene Woche wieder Ideen für eine bessere Zukunft. Auf zwei Konferenztage, an denen sich FachbesucherInnen mit Forschenden, Startups, GründerInnen, InvestorInnen und Kunstschaffenden austauschen konnten, folgten zwei Public Days, an denen das Festival allen BesucherInnen kostenfrei offenstand.

Das diesjährige Festival der Zukunft von 1E9 verwandelte die Münchner Museumsinsel in eine Zukunftsinsel – denn unter dem Motto „Welcome to Future Island“ drehte sich vom 27. bis 30. Juni im Forum der Zukunft alles um die neuesten Entwicklungen aus Technologie und Wissenschaft. Dabei bot die Veranstaltung nicht nur Informationen, Diskussionen und Workshops, sondern machte die Zukunft – oder zumindest eine mögliche Version von ihr – mit Virtual-Reality-Erlebnissen über Kunst-Installationen bis hin zu verschiedenen Workshops auch anfassbar.

Endlich versteht der Computer den Menschen

Zur Eröffnung des Programms diskutierten der bayrische Wirtschaftsminister Markus Blume und Simon Glöcklhofer, Leiter des Forums der Zukunft im Deutschen Museum, die Frage, wie aus Wissenschaft Lösungen und neue Industrien werden. Hier ging es unter anderem um Strategien zur Stärkung des Wissens- und Technologietransfers von der Forschung in die Wirtschaft, insbesondere in Startups. Eine Technologie, die diesen Weg bereits hinter sich gebracht hat, ist die Generative KI Stable Diffusion. Von Informatik-Professor Björn Ommer und seinem Team an der LMU entwickelt, wird die KI inzwischen in zahlreichen Anwendungen verwendet.

Da passt es natürlich, dass Ommer auf dem Festival der Zukunft über die Zukunft von und mit Künstlicher Intelligenz sprach. Dabei stellte er sie nicht nur in eine direkte Reihe mit Erfindungen wie der Druckerpresse, der Dampfmaschine oder des Computers, die alle stellvertretend für Revolutionen von Wirtschaft und Gesellschaft stehen. Denn, so machte er deutlich, das eigentlich Besondere an den aktuellen KI-Lösungen ist, dass erstmals der Mensch nicht mehr die Sprache des Computers lernen muss, sondern der Computer die Sprache des Menschen versteht. Dies hat zur Folge, dass NutzerInnen Programme oder ganze Programmiersprachen nicht mehr aufwendig lernen müssen – stattdessen reicht es aus, der KI mit eigenen Worten zu beschreiben, was man benötigt. Dies werde Entwicklungsprozesse radikal verändern und verkürzen, was starke Auswirken auf die Wirtschaft haben wird. Ommer verwies dabei auf Schätzungen, dass die globale Wirtschaftsleistung von Generativer KI im Jahr 2030 in etwa der von Deutschland entsprechen werde.

Sternzeichen aus Weltraumschrott

So wie zu jeder guten Utopie Raumfahrt gehört, gehört auch Spacetech zum Festival der Zukunft. In diesem Jahr war es an Chiara Manfletti, CEO des portugiesischen Startups Neuraspace und Professorin für Raumfahrtmobilität und -antriebe an der TUM, von den Beiträgen der Raumfahrt in Bereichen wie Logistik, Klimaforschung, Robotik, Mikroelektronik, Materialwissenschaft und mehr zu berichten. Ihre eigentliche Botschaft war aber eine andere: Denn Nachhaltigkeit ist nicht nur für die Wirtschaft auf der Erde wichtig, sie muss auch ihren Weg in den Orbit finden. So sollte man sich verstärkt darum bemühen, Ressourcen aus dem All zu verwenden und vorhandene Infrastruktur möglichst lange zu nutzen. Hierfür stellte sie unter anderem ein Konzept vor, bei dem Wasser von Asteroiden gewonnen und durch einen Elektrolyseur zu Treibstoff verarbeitet wird.

Weltraumschrott beschäftigte aber nicht nur Manfletti. Während sie das Problem aus Sicht der Raumfahrt schilderte – aktuell ist bereits so viel Müll (etwa 160 Millionen Objekte) in der Erdumlaufbahn, dass mehrere Startups ihr Geld damit verdienen, Satellitenbetreibern dessen Flugbahn vorherzusagen – schloss sich an ihre Keynote die Vorstellung des Projekts Space Trash Signs an. Ziel dieser Initiative ist es, den Weltraumschrott für die Bevölkerung sichtbar zu machen und somit das Bewusstsein für dieses Problem zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurden Weltraumschrott-Konstellationen bestimmt, und ihnen Namen und Bedeutung gegeben – Sternzeichen aus Müll, sozusagen. So steht etwa die Konstellation “The Bars of No Service” für den Ausfall von Kommunikationssystemen, sollte Weltraumschrott einen Satelliten treffen. Letztlich, so erklären Christopher Kebschull, CTO & Co-Founder von Okapi Orbits, und Shruthi Subramanian, Copywriter bei Serviceplan Innovation, soll Space Trash Signs einen Beitrag dazu leisten, Druck auf die Gesetzgeber auszuüben, um mehr für die Reinhaltung der Orbits zu unternehmen.

Ein richtiger Markt für CO2-Zertifikate

Natürlich muss ein Festival der Zukunft auch den Klimawandel thematisieren, oder noch besser, Mittel dagegen. Genau zu diesem Zweck diskutierten Jörg Eigendorf, Chief Sustainability Officer der Deutschen Bank, Stefan Ferber, CEO & Founder von Treeo, Kathrin McCarthy, Carbon Trader und Biochar Project Manager bei Interholco, und Moderator Markus Turber, Managing Director bei Intuity, das Thema der naturbasierten Lösungen (NBS) für CO2-Rückführung und Kühlung. Dabei waren sich die Panelisten schnell einig: Lösungen gibt es viele, was fehlt, ist der richtige Markt. Für Eigendorf ist klar, dass Unternehmen derzeit noch Anreize fehlen, um tatsächlich in den Handel mit CO2-Zertifikaten einzusteigen. So sei die ohnehin fragwürdige Klimaneutralität als Marketingversprechen nicht ausreichend. Vielmehr müssten die Treibhausgase als externalisierte Kosten endlich Eingang in die Rechnungslegung finden. Und auch eine Aufnahme in die EU-Taxonomie würde Druck auf Unternehmen ausüben.

Einen weiteren wichtigen Punkt brachte McCarthy ein: Denn Projekte zur CO2-Speicherung in Wäldern (Treeo), Biokohle (ihr eigenes Projekt) und andere Lösungen gebe es ja viele. Was ihnen fehle, sei ein einheitlicher und verlässlicher Standard. Nur so könne auch verlässlich gehandelt werden. Eigendorf ergänzte zudem, dass sich Investoren am einfachsten überzeugen ließen, diese Projekte zu unterstützen, wenn es eine definitive Nachfrage gebe. Etwa durch staatliches Handeln. Er verdeutlichte dies mit einem Beispiel: Seitdem die EU-Gesetzgebung verlangt, dass der Anteil nachhaltiger Flugkraftstoffe bis 2030 auf sechs Prozent ansteigt, stürzen sich Investoren auf die Produzenten, da es ja einen garantierten Absatzmarkt gibt.

Ewiges Leben in Gleichberechtigung

Die Grundvoraussetzung, um eine Vielzahl der ausgestellten und besprochenen Zukunfts-Technologien auch noch hautnah mitzuerleben, ist ein möglichst langes Leben. Genau das war das Thema des Wissenschaftlers und Autors Andrew Steele, der sich in seiner Keynote mit der Frage auseinandersetzte, ob Altern künftig heilbar sein wird. Denn das Altern, so Steele, ist weltweit die Hauptursache für Tod und Leiden – und nicht etwa Krebs oder Herzkrankheiten. Trotzdem akzeptiere die Menschheit diesen Prozess bisher als unvermeidlich. Dass das nicht so bleiben muss, zeigte Steele anhand von Ergebnissen aus der Spitzenforschung. Schon heute experimentiere man in Laboren mit DNA, Stammzellen, dem Immunsystem und sogenannten Alterungsgenen, die bei Tieren zu einer Verzehnfachung der Lebensspanne geführt haben. Diese könnten in nicht allzu ferner Zukunft zu Behandlungen führen, die auch den Verfall des menschlichen Körpers aufhalten.

Um Innovationen im Bereich der Gesundheitstechnologien für Frauen ging es schließlich unter dem Motto „Closing the Gap“. Spezifische Themen der Frauengesundheit werden nach wie vor häufig übersehen. Um diesen Mangel zu beseitigen, engagieren sich immer mehr Startups in diesem Feld, die sich auch auf der Bühne präsentierten: Impact Period bringt mit Workshops Wissen über den weiblichen Zyklus an den Arbeitsplatz, Meliodys Medical bietet nichthormonelle Schmerzmanagement-Lösungen für Menstruationsschmerzen an. Der große Vorteil der Startups nach Meinung der AOK-Vorstandsreferentin Lisa Feiler: Den Leidensweg der Betroffenen ganzheitlich zu sehen. Im ersten Gesundheitsmarkt treffen hingegen zu viele Partikularinteressen aufeinander, um eine nachhaltige Veränderung zu bewirken. Die größte Herausforderung sahen alle PanelistInnen bei den noch vorhandenen Datenlücken. Die Erhebung von weiblichen Gesundheitsdaten hinkt im Vergleich zum männlichen Pendant nämlich noch immer stark hinterher. Ebenfalls bräuchte es noch mehr Kapital für Forschung und Entwicklung und gezieltere Förderprogramme für Femtech-Lösungen.

Interstellare Solarien und Mineralwasser vom Mars

Das Festival der Zukunft hatte aber auch abseits der beiden Hauptbühnen viel Spannendes zu bieten, vor allem am Schnittpunkt von Kunst und Technologie. So zeigte etwa das Medienkollektiv Total Refusal seinen Kurzfilm „Hardly Working“, in dem es die Routinen von NPCs in dem Videospiel „Red Dead Redemption 2“ als Ausgangspunkt für seine Kapitalismuskritik nimmt. „Als Sisyphus-Maschinen zeichnen sie ein plastisches Bild der Arbeit in Zeiten des Kapitalismus“ heißt es in der anschließenden Diskussion.

Besondere Perspektiven brachte auch der Experimentelle Philosoph und Artist in Residence am SETI Institute Jonathon Keats mit. So versuchte er mit der Installation eines interstellaren Solariums die Erfahrung des Weltraumtourismus zu demokratisieren. Der Gedanke dahinter: Viele Menschen fahren für eine schöne Sonnenbräune in den Urlaub. Warum sollte es beim Weltraumtourismus anders sein? Da dieser aber sehr teuer und wenig nachhaltig ist, kann sich jeder im interstellaren Solarium im simulierten Licht verschiedener Sterne sonnen.

Darüber hinaus bot Keats allen BesucherInnen die Möglichkeit, selbst zum Alien-Hybriden zu werden. Und das ging so: Keats hat ein besonderes Mineralwasser mit Mineralien aus Meteoriten hergestellt, die nachweislich vom Mars stammen. Und da der Körper Mineralien, die er zu sich nimmt, bindet, wird jeder, der etwas von dem Wasser trinkt, ein ganz kleines Stück außerirdisch.

XR in Didaktik und Kunst

Zahlreiche interaktive VR- und AR-Installationen ermöglichten es, die Grenzen der Realität zu überschreiten. Das Startup Salzsammler Studios nutzt Innovationen im Bereich der Extended Reality, um didaktisch wertvolle Informationen spielerisch erfahrbar zu machen. Was aussah wie ein auf den Boden projizierter Spieleteppich, entpuppte sich als immersive Lernumgebung. In dem interaktiven Spiel erfassen Kameras die Bewegungen der Spielenden und integrieren diese nahtlos in die Anwendung. Damit soll Kindern ein eher trockenes Thema nahegebracht werden: Handel und Warentransport im mittelalterlichen Regensburg.

Auch der XR Hub Bavaria war mit XR-KünstlerInnen aus seiner Community vertreten. Der Schwerpunkt der Initiative lag diesmal auf der Mixed-Reality-Kunst. In der virtuellen Realität konnten die BesucherInnen den Amazonas-Regenwald erkunden oder aus der Perspektive einer bedrohten Hummelart durch die Prärie fliegen. Gleich daneben gab es Wissenswertes über den Selbstbestimmungskampf zweier Flugpionierinnen oder die Zukunftsträume von Jugendlichen aus dem Libanon zu erfahren. Sportlich Ambitionierte konnten außerdem mit einem fest installierten Fahrrad durch das Berlin des Jahres 2037 fahren.

Das Projekt Current lud ein zu einer Reise durch die Meeresströmungen. Nach dem buchstäblichen Eintauchen in die Flora und Fauna des Ozeans zeigt die 3D-Umgebung in drei Phasen die Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung auf. Plastik wirbelt auf, eine Sirene heult, es beginnt zu schneien, weil die Temperaturen sinken, Öltröpfchen verschmutzen das Wasser. Der Appell dahinter: Als Teil des Ökosystems sind alle aufgerufen, gemeinsam zu handeln. Für diese Idee erhielten die KünstlerInnen hinter Current im Rahmen des Festivals den New Realities Award 2024. Im Finale des XR-Wettbewerbs von 1E9 und dem XR Hub Bavaria pitchten die besten Einreichungen ihre Konzepte und Produkte. Der Schirmherr und Bayerische Staatsminister für Digitales Fabian Mehring verlieh den mit 1.000 Euro dotierten Preis.

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