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Tina Ruseva: „Transformation braucht Lernen und Zusammenarbeit im Kollektiv“

Tina Ruseva hat 2019 Mentessa gegründet. Ihr Startup ist ein “Mentor bei der Arbeit”, der personalisierte Personalentwicklung ermöglicht. Die Plattform ermöglicht mehr Wissensaustausch und Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen. Sie gibt individuelle Vorschläge zu passenden Matches für soziales Lernen, aber auch für formelle Upskilling-Angebote oder Jobs. Ruseva bezeichnet sich selbst als “Woman in Tech turned Entrepreneur”. Sie hatte als diplomierte Medieninformatikerin an der LMU und bei Microsoft angefangen und war nach einem MBA in Entrepreneurship & Innovation (TUM) als Gründerin durchgestartet. Seitdem hatte sie mehrere Startups und soziale Organisationen gegründet, darunter das "Big & Growing New Work"-Festival und den Bundesverband New Work. Am 24. September erscheint außerdem ihr neues Buch „Ich muss gar nichts” bei Haufe.

Munich Startup: Hast Du allein oder mit PartnerInnen gegründet?

Tina Ruseva: Allein, und immer nach Partnerschaften gesucht. Bei Mentessa freue ich mich à la Familienunternehmen zum ersten Mal mit meinem Mann zusammen zu arbeiten. Er ist mit der Finanzierungsrunde in 2022 offiziell als Mitgründer eingestiegen, war aber immer schon mein größter Fan und Supporter.

Munich Startup: Was hat Dich zur Gründung motiviert?

Tina Ruseva: Zwischen meinen Startups war ich für ein paar Jahre zurück im Konzern. Ich war schockiert, wie wenig Austausch hier stattfand – zwischen verschiedenen Funktionen, aber auch zwischen Abteilungen und Hierarchiestufen. Solche Silos schaffen nicht nur Ineffizienzen, sie degradieren auch die Unternehmenskultur und wirken innovationshemmend. Als Gründerin wusste ich, dass man auf Austausch und Zusammenarbeit mit ExpertInnen angewiesen ist, wenn man was Neues schafft. Auch Transformation braucht Lernen und Zusammenarbeit im Kollektiv.

Auf diese Dialogkultur sind auch Großkonzerne heute angewiesen, um im schnellen Wandel nicht vom Markt verdrängt zu werden. Außerdem macht sie die Arbeitswelt fairer, zum Beispiel für Frauen. Genau hier wollte ich etwas bewirken.

Tina Ruseva: „Man schafft nichts Großartiges alleine“

Munich Startup: Was hättest du gerne vor Deiner ersten Gründung gewusst?

Tina Ruseva: Ich hätte gerne früher schon von der treibenden Kraft guter, produktiver Arbeitsbeziehungen gewusst. Denn man schafft nichts Großartiges alleine. Damit meine ich nicht das heute verbreitete “Networking”, das strategisch und “nach oben“ gerichtet ist, sondern der Umgang untereinander und die soziale Eingebundenheit im Team. Bindung schafft Verbindlichkeit und öffnet Türen, wo sie sonst verschlossen bleiben. Ich war mir außerdem lange nicht über die Außenwahrnehmung als Frau in Tech, als Frau in Führung oder als ‚Female Founder‘ bewusst. Ehrlich gesagt freue ich mich darüber, denn so konnte ich authentisch meine Ziele verfolgen. Letztendlich kommt es ja darauf an.

Munich Startup: Wie ist Dein Unternehmen bislang finanziert?

Tina Ruseva: Die ersten zweieinhalb Jahre bis zu einem Umsatz von 500.000 Euro waren wir gebootstrapped. Dann kam 2022 eine Pre-Seed Runde von Eleven Ventures (VC) sowie 2023 eine große EU-Förderung von EIT Digital. Ein guter Mix aus Finanzierungsquellen macht uns flexibel und resilient im Zuge von Veränderungen.

Guter Mix aus Finanzierungsquellen

Munich Startup: Wann und wo bekommst Du die besten Ideen?

Tina Ruseva: Beim Gassigehen. Dort treffe ich meistens auf andere HundebesitzerInnen, die nichts mit meinem Beruf zu tun haben und die mir sehr interessante neue Perspektiven aufzeigen. Austausch aus der Bubble heraus ist sehr wichtig für Kreativität und Lösungsfindung. Das gleiche passiert auch mit Büchern aus anderen Disziplinen. Deswegen lese ich gerne und sehr viel.

Munich Startup: Was sind Deine 3 liebsten Arbeitstools?

Tina Ruseva:

  • LinkedIn – es ist mein Slack mit der Welt. Ich nutze es tatsächlich als Kollaborationsplattform.
  • Meine Smartwatch – sie ist mein Mentor für gute Gewohnheiten und erinnert mich zwischen den Meetings zum Beispiel daran, Wasser zu trinken und rauszugehen.
  • Docusign! Als Geschäftsführerin unterzeichne ich mehrere Dokumente pro Woche. Vor dem Tool war das echt mühsam. Danke, Docusign.

Munich Startup: Dein Top-Tipp zum Thema “Pitchen”?

Tina Ruseva: Pitchen ist wie Public Speaking – es ist egal, was man sagt, wenn man es nicht meint. Deswegen gilt: Mean it! Authentizität macht Pitches memorable! Investoren hören sich hunderte davon jede Woche an – sie kommen den Templates und Floskeln nicht hinterher. Mit der eigenen Gründungsstory hat man bereits einen echten Hook und kommt ins Gespräch.

„Jede Zeit ist eine gute Zeit fürs Gründen“

Munich Startup: Erscheint es Dir gerade als eine gute Zeit, um zu gründen? Warum?

Tina Ruseva: Jede Zeit ist eine gute Zeit fürs Gründen. Die Welt braucht Lösungen und Builder, die sie schaffen. Heute mehr denn je – für Erhaltung der Demokratie, der Meinungsfreiheit, der Grundsätze unserer Gesellschaft, des Wohlstandes. Dabei kommt es nicht auf das Timing an, sondern auf die Antriebskraft. Wenn es um Geldinvestitionen geht, dann kann man die richtige Zeit perfekt bestimmen. Doch wenn es um Impact geht, lautet die Antwort immer: gestern schon! Als Gründerin sollte man stets von dem angetrieben sein, was man bewirken möchte, und sich fragen, welches Problem es wert ist, dafür eine Lösung zu finden. Der Rest kommt dann von alleine.

Munich Startup: Auf welche Technologie oder Branche würdest Du bei Deiner nächsten Gründung setzen?

Tina Ruseva: Ich habe Arbeit zu meinem Beruf gemacht. Als Gründerin von Mentessa, Präsidentin des Bundesverbandes „New Work“ oder Initiatorin des „Big & Growing New Work“-Festivals. Dabei leitet mich nicht die Branche oder eine Technologie an, sondern meine Mission: Barrieren für Austausch und Weiterentwicklung für alle in der Arbeitswelt zu beheben. Aktuell gründen wir aus Mentessa deswegen ein neues Beratungsunternehmen für Teamkultur aus. Es ist viel zu tun!

„München ist ein fantastischer Ort, um ein Startup zu gründen“

Munich Startup: Was könnte aus Deiner Sicht am Gründungsstandort München noch verbessert werden?

Tina Ruseva: München ist ein fantastischer Ort, um ein Startup zu gründen. Die Stadt beherbergt als Wirtschaftsstandort viele potenzielle KundInnen und ein ausdifferenziertes Startup-Ökosystem. Das bietet viele Fördermöglichkeiten, die es an anderen Orten gar nicht so gibt. Auch sitzen hier viele Kapitalgeber und Top Unis, an denen man potenzielle MitgründerInnen, Mitarbeitende und Innovationen finden kann.

Leider ist aber auch die hiesige Kultur sehr auf „Beziehungen“ im klassischen Sinne angewiesen. Als Frau, „mit Migrationshintergrund“ oder mit einer anderen Hautfarbe, ist man außerhalb der Startup-Szene so schnell im Abseits. Die „Vetternwirtschaft“ von gestern gehört weg! Denn München ist längst eine internationale Metropole mit einem hohen Anteil an MigrantInnen und alternativen Lebensstilen. Diverse Hintergründe sind dabei keine Schwäche, sondern eine Stärke. Das ist eine Bereicherung und eine Chance, denn keiner kann alles und jeder kann etwas. Eine starke Gemeinschaft basiert auf starken Individuen.

Munich Startup: Welchen Gründer oder welche Gründerin würdest Du gerne einmal persönlich treffen? Und was würdest Du sie oder ihn fragen?

Tina Ruseva: Hanno Renner. Personio ist für uns als HR-Tech-Startup ein großes Vorbild. Ich würde mich gerne mit ihm über seine Prognose über die Zukunft der Arbeit austauschen und lernen, mit welchen Prinzipien er die Unternehmenskultur bei Personio gestaltet hat und auch Empfehlungen zur Skalierung von Mentessa zum Unicorn bekommen.

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